Das verletzte Tabu

"Daß der koranische Text von Allah kommt - heißt das nicht, daß er göttliches Wunder außerhalb der Geschichte ist?" 1

Der Islam bildet in den islamischen und den von Islam geprägten Ländern eine wichtige Säule des gesellschaftlichen Lebens. Außer der religiösen Seite bestimmt der Islam verschiedene Sitten und Gebräuche des Alltagslebens der Moslime. Viele Gelehrte und Intellektuelle versuchten bisher nur über die positive Seite dieses Einflusses des Islam zu berichten. In den letzten Jahrzehnten erschienen neue Richtungen des islamischen Denkens, die verschiedene Fragestellungen über die Wirkung des Islam auf das Leben der Moslime haben. Ziel dieser Fragestellungen ist, einen neuen Dialog über die Struktur der islamischen Kultur zu führen. In diesem Dialog sollte die islamische Kultur umstrukturiert werden, um sich von den alten Dogmen zu befreien. Da diese alten Dogmen als Tabu für viele Moslime gelten, haben es die Reformer meistens schwer, sich durchzusetzen. Das hier vorliegende Thema ist ein neuartiger Beitrag zu diesem Dialog.

Die Anfänge des Islam

610 bis 632 n. Chr. wurde der Koran von Mohammed in arabischer Sprache verkündet. Nach dem Tode des Propheten wurde der Text des Korans gesammelt und niedergeschrieben. Nicht als sein Wort, sondern als die ihm von Fall zu Fall zuteil gewordenen Offenbarungen Allahs. Mohammed hat sich selber als der >>letzte, das Siegel<< der Propheten bezeichnet.
Um 653 n. Chr. erhielt der Koran, unter dem dritten Kalifen Othman, seine endgültige Gestalt. Damals wurden die Verkündigungen Mohammeds in 114 Suren (Kapiteln) gesammelt.
Mohammed mußte sich bereits in ganzen jungen Jahren sein Brot als Hirte und als Kameltreiber auf Karawanenzügen verdienen. Er kam durch diese Tätigkeit, die ihn bis nach Syrien brachte, mit Juden und Christen in Berührung.
Anfang des siebten Jahrhunderts überfielen Mohammed immer häufiger Trancezustände Er fühlte sich von Dämonen verfolgt, flüchtete in die Einsamkeit des Berges "Hira" und lebte dort wochenlang zurückgezogen. Hier überkam ihn die erste Offenbarung: Das geronnene Blut (Al-Alak). "(1) Lies im Namen deines Herrn, der alles geschaffen hat, (2) und der den Menschen aus geronnenem Blut erschuf." 2
Meiner Ansicht nach hatte der Koran, unabhängig davon, ob er von Allah offenbart worden war, oder von Mohammed selbst verfaßt wurde, zu einer richtigen gesellschaftlichen Revolution seiner Zeit geführt.

Der Islam und seine Beziehung zur Kunst

Die Kunst gilt von den Anfängen des Islam an als Tabuthema; denn die Bildhauerei und die realistische Malerei sind seitdem verboten. Da im Koran keine eindeutigen Texte existieren, die zum Verbot der bildenden Künste führen könnten, greifen die islamischen Gelehrten zum Hadith. (Hadith ist, was der Prophet Mohammed sagte oder tat, und gilt als an zweiter Stelle nach dem Koran in der islamisch-theologischen Reihenfolge).
Das Verbot der bildenden Künste basiert auf der Befestigung des Glaubens während der Anfänge des Islam. Damit wollte Mohammed die Araber von ihren alten Gebräuchen aus der präislamischen Zeit abbringen. Zu diesem Thema äußerte sich der ägyptische islamische Gelehrte Al-Qaradawi wie folgt: "Einer der Gründe für dieses Verbot, obwohl nicht der einzige, wie manche vielleicht annehmen, ist der Schutz des Glaubens an Gottes Einzigkeit und das Bemühen, sich weit von den Bräuchen der Götzenbilder zu entfernen, die mit eigener Hand Statuen und Götzenbilder anfertigen, sie dann als heilig bezeichnen und vor ihnen in Verehrung stehen. (...) Ein anderer Grund für dieses Verbot betrifft denjenigen, der die Skulpturen anfertigt, den Bildhauer. Der Bildhauer ist stolz auf sein Werk, so, als habe er etwas aus dem Nichts geschaffen oder als habe er Lehm oder Stein belebt: (...) In einem Hadith Qudsi (Hadith Qudsi ist eine direkte Offenbarung Allahs an den Propheten außer dem Koran) sagt Allah der Erhabene: >>Wer tut schlimmeres als der, der etwas schaffen möchte, wie Ich schaffen? Soll er ein Atom schaffen! soll er ein Korn Gerste schaffen!<<: Die mit dieser Sache befaßten Menschen kennen keine Grenzen und machen Statuen von nackten erotischen Figuren, Göttern und Heiligen anderer Religionen. Ein Moslem darf derartigen Bräuchen keinesfalls zustimmen." 3
Ein anderer Hadith besagte:
"Bin Abaß berichtet: Daß der Prophet sagte: Am Tag der Auferstehung wird der, der eine Figur machte, aufgefordert, ihr Geist einzuhauchen, und das kann er nie." 4 (D.h. er wird als Tadel und zur Demütigung aufgefordert, ihr Leben zu geben.) Viele islamische Gelehrte begründen das Verbot der bildenden Künste im Islam mit der Behauptung, daß Gott den Menschen erschaffen hat und seine Schöpfung vollkommen ist. Man solle nicht mit unvollkommenen Bildnissen seine Schöpfung verderben. Betrachten wir all diese Argumente des Verbotes der bildende Kunst aus dem siebten Jahrhunderts zu den Anfängen des Islam, dann kommen sie uns überholt vor.
Der Mensch heutzutage, auch in den islamischen Ländern, braucht diese Entbindung von der präislamischen Zeit "Djahiliya" nicht mehr. Das sind Maßnahmen, die im siebten Jahrhundert ihre Wirkung gehabt haben. Man fragt sich, warum werden sie immer noch im zwanzigsten Jahrhundert eingesetzt?

Die Kunst im Sudan.

Wie in anderen islamischen und von Islam geprägten Länder gab es im Sudan in den letzten Jahrzehnten eine gewisse Toleranz gegenüber der Kunst: Diese Toleranz führte zur Entstehung einer der ersten Kunsthochschulen des afrikanischen Kontinents im Jahr 1946. Die Absolventen der Kunsthochschule im Sudan nutzen die Vielfältigkeit der sudanesischen Kultur und vermischen in ihren Werken islamisch-arabische mit afrikanischen Kulturelementen.
Seit 1989, dem Jahr der Machtübernahme durch die islamischen Fundamentalisten im Sudan, können viele Sudanesen, unter anderem die Künstler, ihre Meinungsfreiheit nicht mehr ausüben. Für die Unterdrückung der gemäßigten Moslime, anders Denkender, sowie politisch Oppositioneller aus dem Kreis der Intellektuellen, die meistens Schriftsteller, Dichter oder Künstler sind, greifen die Fundamentalisten auf die islamischen Normen des siebten Jahrhunderts zurück. In diesen überholten Normen und Dogmen sind die bildenden Künste verboten. Davon betroffen sind auch die StudentInnen der Kunsthochschule in Khartoum - Sudan.
"Ihre Studienobjekte dürfen eigentlich gar nicht existieren. Das ist zumindest die Meinung konservativer islamischer Rechtsgelehrter laut deren Islaminterpretation figurative Kunst - wie die von den Studenten geschaffene - 'haram', also nach islamischem Recht verboten sei. Der Mensch als Ebenbild Gottes darf nicht künstlerisch nachgeformt werden, sagen sie.
Die islamischen Rechtsgelehrten sind hier nicht irgendwer. Der Sudan ist eines der wenigen Länder der Welt, in denen die Schari'a, das islamische Recht, zur offiziellen Staatsdoktrin zählt." 5

Beschreibung der Bilder des Projekts:

Bild 1: Trancezustand. Öl auf Nessel, 120 x 150 cm.
Die arabische Schrift in der oberen Bildmitte lautet "heiliger Koran".
Der Hintergrund des Bildes besteht aus Ornamenten, die mit hellbrauner Farbe überdeckt sind. Im Vordergrund sind zwei Figuren zu erkennen. Die kleine helle Figur ist von der großen dunkeln umgeben. Die große Figur symbolisiert hier den Engel Gabriel und umgibt die kleine Figur Mohammeds um den Koran zu verkünden.

Bild 2: Al-Anfal (Die Beute), Öl auf Nessel, 120 x 150 cm.
Das Bild besteht aus einen dunkeln Hintergrund auf dem koranische Verse des Kapitels Al-Anfal in arabischer Schrift in Rot zu erkennen sind. Im Vordergrund bzw. in der unteren Bildmitte sind Menschenleichen zu betrachten. Das Bild symbolisiert die Instrumentalisierung des Koran zur Unterdrückung der Menschen durch die fundamentalistische Bewegung im Islam.
Der Text dieses Verses im Koran lautet:
(13) Ebenso als dein Herr den Engeln offenbarte: >>lch bin mit euch, stärkt daher die Gläubigen, aber in die Herzen der Ungläubigen will ich Furcht bringen; darum haut ihnen die Köpfe ab und haut ihnen alle Enden ihrer Finger ab<<. 6

Bild 3: Al-Tauba (Die Buße) Ö1 auf Nessel, 120 x 150 cm
Der Hintergrund dieses Bildes ist rot. Die Verse erscheinen im Hintergrund in dunkelroter arabischer Schrift. In der Bildmitte bzw. im Vordergrund erscheint eine verhungerte Leiche. Hier sollte die Benutzung der koranischen Verse als ein Argument der Kriegsführung, mit den Folgen wie z. B. Hungerkatastrophen im Sudan, symbolisiert werden.
Der Text des Verses im Koran lautet:
(29) Bekämpft diejenigen der Schriftbesitzer, welche nicht an Allah und den Jüngsten Tag glauben und die das nicht verbieten, was Allah und sein Gesandter verboten haben, und sich nicht zur wahren Religion bekennen, so lange, bis sie ihren Tribut in Demut entrichten (und sich unterwerfen).7

Bild 4: Al-Nisa (Die Weiber) Öl auf Nessel 120 x 150 cm.
Der Hintergrund des Bildes besteht aus dunkelbrauner sowie dunkelgrüner Farbe. Ausgewählte Verse des koranischen Kapitels "Die Weiber" erscheinen in einer roten arabischen Schrift. In der Bildmitte sind mehrere Frauenfiguren, manche nackt und andere verschleiert, zu erkennen.
Der Text dieser ausgewählten Verse des koranischen Kapitels "Die Weiber" lautet:
(4) Fürchtet ihr, gegen Waisen nicht gerecht sein zu können ...(betet und bessert euch). Überlegt gut und nehmt nur eine, zwei, drei, höchstens vier Ehefrauen. Fürchtet ihr auch so noch, ungerecht zu sein, nehmt nur eine Frau oder lebt mit Sklavinnen (die unter eurer Hand, eurem Rechte stehen), die ihr erwarbt. So werdet ihr leichter nicht vom Rechten abirren.
(16) Wenn eure Frauen sich durch Unzucht vergehen und vier Zeugen aus eurer Mitte bezeugen dies, dann kerkert sie in eurem Hause ein, bis der Tod sie befreit oder Allah ihnen sonst einen Versöhnungsweg weist.
(35) Männer sollen vor Frauen bevorzugt werden (weil sie für diese verantwortlich sind), weil Allah auch die einen vor den anderen mit Vorzügen begabt und auch weil jene diese erhalten. Rechtschaffene Frauen sollen gehorsam, treu und verschwiegen sein, damit auch Allah sie beschütze. Denjenigen Frauen aber, von denen ihr fürchtet, daß sie euch durch ihr Betragen erzürnen, gebt Verweise, enthaltet euch ihrer, sperrt sie in ihre Gemächer und züchtigt sie. Gehorchen sie euch aber, dann sucht keine Gielegenheit, gegen sie zu zürnen; denn Allah ist hoch und erhaben.8
Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: ob der koranische Text bzw. seine bisherigen Interpretationen die Frauen befreit oder unterdrückt? Dazu äußerte sich der ägyptische Islamgelehrte und Denker Abu Zaid wie folgt:
"In Bezug auf das Erbrecht für Frauen, ja in Bezug auf die Frauenfrage im allgemeinen ist festzustellen, daß der Islam der Frau zu einer Zeit als sie vom Erbe vollständig ausgeschlossen war, die Hälfte vom Anteil des Mannes zugesprochen hat; in einer gesellschaftlichen Realität, in der die Frau ein Geschöpf ohne eigene Geschäftsfähigkeit, vollkommen abhängig vom Mann, ja fast schon sein Eigentum war: zuerst das des Vaters und dann das des Ehemannes. Es ist vollkommen klar, in welche Richtung die Offenbarung weist, und deshalb darf die Interpretation nicht an den Grenzen der gesellschaftlichen Wirklichkeit stehenbleiben, an die sie sich zuerst gerichtet hat." 9

Bild 5: Al- Tahrim (Das Verbot) Öl auf Nessel, 120 x 150 cm.
Das Bild besteht aus einem grünen Hintergrund, sowie aus brauner arabischer Schrift, die die Verse des koranischen Kapitels "das Verbot" präsentiert. Im Vordergrund sind zwei Figuren, die Mohammed mit Maria "die Koptin" symbolisieren.
Der Text des Verses hier lautet:
(2) O Prophet, warum willst du dir, um das Wohlgefallen deiner Weiber zu erlangen, als Verbot auflassen, was Allah dir erlaubt hat? Allah ist ja versöhnend und barmherzig. (3) Und Allah hat euch ja bereits gestattet, eure Eide zu lösen, und Allah ist ja eure Schutzherr. Er, der Allwissende und Allweise. (4) Als der Prophet irgendeine Begebenheit einer seiner Frauen als Geheimnis vertraute, diese aber dasselbe ausplauderte, wovon Allah ihn in Kenntnis setzte, da hielt er ihr einen Teil ihrer Plauderei vor, und einen Teil verschwieg er, zu ihrer Schonung. Und als er ihr dieses vorhielt, da fragte sie: >>Wer hat dir das mitgeteilt?<< Er antwortete: >>Der alles weiß und kennt, hat es mir angezeigt.<<(5) Wenn ihr beide (Aischa und Hafza) euch wieder zu Allah wenden wollt ... (da euere Herzen abgewichen sind, so ist es gut); verbindet ihr euch aber wider ihn (den Propheten), so sind seiner Schützer: Allah und Gabriel und die Frommen unter den Gläubigen, und auch die Engel werden ihm beistehen. (6) Wenn er sich von euch scheidet, so kann es sehr leicht sein, daß sein Herr ihm zum Tausch andere Frauen gibt, welche besser sind als ihr, nämlich: gottergebene, wahrhaft gläubige, demutsvolle, bereuende, fromme und enthaltsame, die teils schon Männer erkannt haben, teils noch Jungfrauen sind.10

Bild 6: Hinrichtung eines 76 jährigen. Öl auf Nessel. 120 x 150 cm.
Auf einem grauen Hintergrund erscheint das koranische Kapitel "Al Kafirun - die Ungläubigen" in arabischer Schrift. Im Vordergrund bzw. in der unteren Bildhälfte ist die Szene einer Hinrichtung im Freien zu erkennen. Das Bild beweist, wie koranische Verse als Instrument zu der Vernichtung von Regimegegnern benutzt werden können. Obwohl der Text der Verse von den Ungläubigen handelt, benutzte man ihn für die Hinrichtung eines andersdenkenden Islamgelehrten, der im Grunde gläubig war. Hier hängt es von der Interpretation des Textes und nicht vom Text selbst ab.
Der Text des koranischen Kapitel "Die Ungläubigen" lautet:
(2) Sprich: >>O Ungläubige, (3) ich verehre nicht das, was ihr verehrt, (4) und ihr verehrt nicht, was ich verehre, (5) und ich werde auch nie das verehren, was ihr verehrt, (6) und ihr wollt nie das verehren, was ich verehre. (7) Ihr habt euere Religion, und ich habe meine.<< 11

Schlußfolgerung:
Der Koran bzw. seine konservative Interpretation müssen als Tabu gebrochen werden. Das ist nicht nur meine Empfindung, sondern die Meinung vieler zeitgenössischer moslimischer Wissenschaftler, Intellektueller, Denker, ja sogar Theologen.
Viele gesellschaftlichen Revolutionen begannen mit der Fragestellung über die existierenden Normen und Dogmen. Das ist auch die Geschichte der Religionen, der Wissenschaft, und der gesellschaftlichen und geistigen Bewegungen. Der Mensch fängt an, sich Fragen über die existierende Wirklichkeit zu stellen. Diese Fragestellungen stoßen auf die existierende Wirklichkeit. Dieser Zusammenstoß führt zu einem Dialog, der eine neue Wirklichkeit hervorruft.

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